Zu ihrem Gedächtnis (Markus 14,3-9)
Gottesdienst für den 28.3.2021 in Brombach, wegen des Lockdowns ohne anwesende Gemeinde

Liebe Gemeinde,
gerade laufen auf dem Grundstück die Vorarbeiten für den Bau eines Hochhauses, vor wenigen Jahrzehnten gab es an diesem Ort noch eine lebendige Gemeinde. Als ich in dort lebte, kamen gerade junge Menschen dazu, es gab eine Aufbruchstimmung. Mit den Augen der Neuen sah man sich den Gottesdienstraum an. Alte Nachkriegsstühle standen da. Das Holz splitterte an vielen ab, manche Nylon-Strümpfe blieben dabei auf der Strecke. So wuchs das Bedürfnis, auch den Raum der Aufbruchstimmung anzupassen und neue Stühle anzuschaffen. Damit war eine Diskussion entfacht. An einem Ende des Meinungsspektrums äußerte jemand, man sollte doch das Geld, das wir für die Stühle ausgeben müssten, der Weltmission geben. Wie viele Familien könnten damit unterstützt werden in den notleidenden Gebieten dieser Welt. Am andern Ende der Meinungsskala traten die Befürwortenden dafür ein, Gott mit einem schönen Raum zu ehren und diesen Ort mindestens so qualitativ auszustatten wie unsere Wohnzimmer, in denen solche kaputten Stühle doch auch nicht mehr standen. Natürlich gab es auch die Unentschiedenen in der Mitte, sie wollten mit der Mehrheit abstimmen.

Solche Diskussionen kennen wir sicher alle aus dem ganz normalen Miteinander. Manchmal befinden wir uns bei den einen, mal in der Mitte oder auch bei den anderen. Wir haben schnell gute Ideen, was andere mit ihrem Geld machen sollten, wo es viel effektiver einzusetzen wäre, wo es mehr Sinn machen würde auch im Blick auf das, was Jesus von uns will.

Begleiten wir Jesus an diesem Palmsonntag in seine letzte Woche vor seiner Kreuzigung. An Palmsonntag selbst prallen zwei Welten aufeinander. Jesus und seine Anhängerinnen und Anhänger, die ihm teils aus Galiläa gefolgt waren, breiten ihm, den sie für den neuen König der Juden halten, den roten Teppich mit ihren Kleidern und Palmzweigen aus. „Hosianna“ rufen sie, zu Deutsch „Herr, hilf!“ Ihre ganzen Erlebnisse mit Jesus bringen sie mit. Wer, wenn nicht der, der Stürme stillte, Menschen satt machte und Kranke heilte, war der von Gott bestimmte Messias, der sie retten würde vor den Römern.

Sie trafen auf eine feindliche Front in der Hauptstadt Jerusalem. Die Religionsbehörde hatte Jesus schon lange auf dem Index, wollte ihn daran hindern, ein aus ihrer Sicht falsches Gottesbild und einen falschen Umgang mit dem Gesetz zu propagieren. Diese Front wurde in den nächsten Tagen stärker bis sie schließlich Jesus am Karfreitag scheinbar besiegte.

Wie eine Insel in diesem Geschehen erscheint da eine Einladung zum Essen in Bethanien, einem Ort etwas außerhalb von Jerusalem.

Markus 14,3-9
Jesus war in Betanien. Er war zu Gast bei Simon, dem Aussätzigen. Als er sich zum Essen niedergelassen hatte, kam eine Frau herein. Sie hatte ein Fläschchen mit Salböl dabei. Es war reines kostbares Nardenöl. Sie brach das Fläschchen auf und träufelte Jesus das Salböl auf den Kopf. Einige ärgerten sich darüber und sagten zueinander: »Wozu verschwendet sie das Salböl? Das Salböl war mehr als dreihundert Silberstücke wert. Man hätte es verkaufen können und das Geld den Armen geben.« Sie überschütteten die Frau mit Vorwürfen. Aber Jesus sagte: »Lasst sie doch! Warum macht ihr der Frau das Leben schwer? Sie hat etwas Gutes an mir getan. Es wird immer Arme bei euch geben, und ihr könnt ihnen helfen, sooft ihr wollt. Aber mich habt ihr nicht für immer bei euch Die Frau hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt. Amen, das sage ich euch: Überall in der Welt, wo die Gute Nachricht weitergesagt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat. So wird man sich immer an sie erinnern.«

Jesus hatte persönliche Beziehungen zu dem Ort. Die Schwestern Maria und Martha waren für ihn eine Anlaufstelle zum Auftanken, und ihren Bruder Lazarus hatte er vom Tod auferweckt. Nun hören wir von einer Einladung ins Haus des Simon. Als Aussätziger wird er bezeichnet. Ob er eine Hautkrankheit hatte oder Jesus ihn sogar von Lepra geheilt hatte, wissen wir nicht, jedenfalls war dieser Simon Jesus verbunden. Wie es damals üblich war, lagerten die Männer wahrscheinlich um den Tisch und ließen sich von Frauen bedienen. In die Tischrunde platzt eine Frau herein, zielsicher geht sie zu Jesus und kippt Öl im Wert eines Jahresgehalts auf Jesu Kopf. Ein wunderbarer Duft dieses Öls wird sich im Raum verbreitet und gleichzeitig die Anwesenden verwirrt haben. Wer war diese Frau? Warum tat sie das? War das nicht eine gänzlich verrückte Aktion? 

Wir wissen nicht, wer diese Frau war. Offensichtlich ist dem Evangelisten Markus auch nicht wichtig gewesen, ihre Identität festzustellen. Es genügen die beiden Aspekte, die ihre Tat andeuten.

  • Die Frau gibt ein Jahresgehalt hin für Jesus, zweckfrei. Es wird nicht berichtet, dass sie es aus Dankbarkeit tut, sich für irgendetwas revanchieren will oder sich einen Nutzen verspricht. Sie macht Jesus ein unfassbar großes Geschenk. Sie gibt eine riesige Summe für die Salbung aus. Vergleichbar hatten die Jünger ihre ganze Existenz aufgegeben, als sie Jesus folgten. Sie wird zum Vorbild für Menschen, die Jesus vertrauen, eben nicht nur ein bisschen, sondern ganz mit allem, was sie haben.
  • Die Frau salbt Jesus. Gesalbt wurden Könige, wenn sie ihr Amt antraten. Jesus ritt Palmsonntag nach Jerusalem und wurde als König gefeiert. Die Frau holt seine Salbung nach. Er ist nun der berufene und in sein Amt eingesetzte Nachfahre Davids, auf den die Juden hofften, der Messias, der Frieden bringen würde.
Reaktionen
Die Jünger wirken aufgescheucht, sie murmeln untereinander: „Wie kann man nur, was hätte man mit diesem Geld alles Gutes tun können!“ Mit Kopfschütteln und Ärger reagieren sie auf die Frau und überschütten sie mit Vorwürfen. Interessant, dass sie sich nicht an Jesus wenden und ihn fragen: „Wie findest du das?“

Wie fand Jesus das?

  • Er bejahte das Handeln der Frau, ließ es geschehen. Doch ihre unausgesprochene Erwartung – jetzt kommt der Messias, der uns von den Römern befreien wird und uns wieder stark werden lässt – korrigiert er. Er wird nicht ein neuer politisch starker David werden, sondern ihre Salbung gilt schon seinem Tod. Erst sein Tod wird das neue Reich heraufführen, wird die Menschen befreien von ihrer Schuld und Selbstüberschätzung und ihnen den Zugang zu Gottes Reich schenken. Sein Tod wird die Brücke über den tiefen Graben sein, der die Menschen von Gott trennt. Gott selbst schenkt in Jesus diesen neuen Zugang.
  • Er ließ sich von der Frau trösten und ermutigen. In den nächsten Tagen verließen ihn: Judas, der ihn verriet, die Jünger, die in der Stunde der Festnahme alle wegrannten, Petrus, der ihn verleugnete. Diese Frau zeigte ihm, dass sie seine Liebe verstand. An ihr konnte Jesus erkennen, dass seine Zeit auf Erden nicht umsonst war.
  • Er setzte dieser Frau ein Denkmal. Immer wird man an sie denken, solange von Jesus die Rede sein wird. Das ist eine spannende Aussage, zumal wir noch nicht mal ihren Namen kennen. Warum sollen wir an diese Frau denken? Sie ist Vorbild für Hingabe, ohne zu fragen wofür. 
Ich erinnere mich an ein Gespräch, wo jemand von ihrem Einsatz für Flüchtlinge erzählte. Ihr Engagement ging weit über das Notwendige hinaus. Sie half mit ihrem Wissen, ihrer Zeit und ihrem Geld. Da kam schon die Frage auf, warum sie das macht. Braucht sie das, weil sie einen Helferkomplex hat? Fühlt sie sich besonders wichtig? Hat sie sonst nichts zu tun? Und was bringt das überhaupt, am Ende gibt es doch immer wieder Enttäuschungen. Ihre Antwort war ganz einfach. Ich tue es für Jesus. Ihn möchte ich ehren mit meinem Verhalten. Er hat mir all das geschenkt, was ich nur weitergebe. Da brauche ich nichts zurückzubekommen. Da frage ich nicht, was es bringt. Jetzt ist das dran, jetzt wird sozusagen das Nardenöl über Jesu Kopf gegossen.

Jesus weist darauf hin, dass es im Leben um mehr geht, als immer nur das Notwendige zu tun. Wenn wir immer nur das täten, was gerade notwendig wäre, würden wir hauptsächlich Haferschleim essen, uns mit Kernseife waschen und in unseren Wohnungen ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch haben. Alles andere ist ja eigentlich nicht notwendig. Mit Jesus zu leben bedeutet auch, Duft ins Leben zu bringen, ein Überraschungsgeschenk dem Freund vor die Haustür zu legen, den Bürgersteig vom Nachbarhaus mitzukehren, das Buch zur 40-Tage-Aktion nicht im kalten Keller bei Neonlicht zu lesen, sondern in gemütlicher, schöner Atmosphäre mit einer Tasse Tee und einer Kerze zum Beispiel. 

Jesus freut sich, wenn wir unsere Liebe zu ihm vielfältig zum Ausdruck bringen. Um bei meinem Anfangsbeispiel zu bleiben, natürlich ist es wichtig für eine Gemeinde, die Weltmission zu unterstützen. Aber es ist genauso wichtig, der Liebe zu Jesus vielfältig Ausdruck zu geben. Auch der Gottesdienstraum soll davon Zeugnis geben, dass wir Jesus lieben. Auch unsere persönliche Balance zwischen Arbeiten und Ruhen sollte Jesu Liebe zu uns widerspiegeln. Auch unsere Kontakte sollten diese Liebe zum Ausdruck bringen, indem wir füreinander Sorge tragen und miteinander unterwegs bleiben, auch wenn das nicht immer einfach ist.

In Bethanien bekam Jesus Kraft für seine letzten Stunden. Scheinbar scheiterte er mit seiner Mission, die Menschen für Gott zu gewinnen. Doch diese Frau ist die Hoffnungsträgerin der Karwoche. Sie antwortet auf Gottes Liebe und gibt sich hin. Zu der Namenlosen können wir uns gesellen und unser „Nardenöl“ Jesus schenken. Das kann unser Geld sein, unser Einsatz und Herzblut, unsere Zeit oder was auch immer wir Jesus schenken können. Dabei sind auch immer wir Beschenkte, riechen wir doch auch den kostbaren Duft, den das Öl verströmt. 

Cornelia Trick


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