Tischgemeinschaft
Gottesdienst am 12.03.2006

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in unserem Familienleben nimmt die gemeinsame Mahlzeit eine zentrale Stellung ein. Hier geht es nicht nur darum, satt zu werden, sondern sich zu begegnen, Tischgemeinschaftam Leben der anderen teilzunehmen und das Zusammenleben zu organisieren. Verschiedene Signale empfangen wir, wenn wir uns zu Tisch setzen:

  • Für mich ist gedeckt - ich werde erwartet.
  • Für mich ist gekocht worden, was ich mag - ich werde wert geschätzt und beachtet.
  • Meine Redebeiträge sind willkommen - ich werde angehört und kann den Kurs der Familie mitbestimmen.
  • Ich sitze nicht allein am Tisch - eine tragfähige Gemeinschaft umgibt mich.
Diese tägliche Erfahrung griff der Apostel Paulus auf, um das allgemein Gültige und das Besondere des Abendmahls deutlich zu machen. Denn auch beim Mahl des Herrn, das dieser am Tag vor seinem Tod feierte und einsetzte als zentrale Mahlzeit der Christen, geht es um Gemeinschaft. Jesus Christus hat den Tisch gedeckt, er erwartet seine Nachfolgerinnen und Nachfolger, er lädt ein zum Gespräch, zum Austausch und zum Nachdenken über den weiteren Weg. Diese Mahlgemeinschaft ist zentraler Ort, an dem klar wird, was es heißt, zu Jesus Christus zu gehören.

Der Anlass für die Ausführungen des Paulus war wieder mal ein Streit in der Gemeinde Korinth. Fleisch war damals nur in Zusammenhang mit kultischen Opferfeiern erhältlich und man war sich sehr uneinig, ob es Christen erlaubt war, Fleisch zu verzehren, das bei heidnischen Opferritualen geschlachtet wurde. Manche meinten sogar, die Teilnahme an den Opferfesten würde ihrem Christsein nicht schaden. Jesus war schließlich stärker als die heidnischen Gottheiten, was sollte den Christen also bei den Feiern passieren? Doch Paulus sah die Teilnahme an diesen Festen unter einem anderen Gesichtspunkt. Für ihn wurde das Wort Jesu hier wirksam: Man konnte nicht zwei Herren dienen (Matthäus 6,24). An Jesu Tischgemeinschaft und mit Götzen an einem Tisch zu sitzen, schloss sich gegenseitig aus. So sehr er die Macht der heidnischen Gottheiten durch Jesus gebrochen sah, so wichtig war für ihn zu wissen, an welchem Tisch, in welcher Familie man zu Hause war. 

Paulus führte das Thema weiter aus, indem er der Gemeinde erklärte, was Tischgemeinschaft mit Jesus Christus bedeutet. Wir können hier Wesentliches für unser Abendmahlsverständnis lernen.

1. Korinther 10,16-17

Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist's: So sind wir viele ein Leib, weil wir alle an einem Brot teilhaben.

1 Segnen und Brot-Brechen

Das Abendmahl wird durch zwei Handlungen beschrieben: der Kelch mit dem Wein wird gesegnet und das Brot wird gebrochen. Den Kelch zu segnen geht auf die jüdische Passahliturgie zurück. Mit dem Segen wird Gottes Gegenwart herbeigerufen. Er ist der Gastgeber. So ist der Kelch nicht einfach ein Weinglas, das unter Gleichgesinnten wie ein Kameradschaftstrunk herumgereicht wird. Vielmehr ist Gott in Jesus Christus anwesend, er gibt den Kelch herum, er stiftet Gemeinschaft durch das gemeinsame Trinken aus seinem Kelch.

Auch das Brechen des Brotes steht in engem Zusammenhang mit Jesus Christus, denn es ist eine Zeichenhandlung, die auf seinen Tod hinweist. Zugleich geschieht durch das Brechen des Brotes Vermehrung. Jesus gibt Anteil an seinem Leben und Sterben und er lässt uns ebenfalls Brot brechen und andere einladen in die Gemeinschaft mit Jesus Christus.

Wenn wir heute am Tisch des Herrn eingeladen sind, vergegenwärtigen wir uns durch den Segen, dass Jesus der Gastgeber ist, dass er sein Leben dafür gegeben hat, um uns um seinen Tisch zu scharen und dass noch viele Plätze am Tisch leer sind, zu denen wir einladen können.

Diese Nähe zu Jesus Christus bei Tisch ist nicht auf die Abendmahlsfeier beschränkt, sondern drängt nach Realisierung im Alltag. Unser Glaube gewinnt an Tiefe, wenn wir Jesus in unseren Alltag rufen, ihn Anteil nehmen lassen an den Höhen und Tiefen und mit ihm die Themen des Tages durchgehen.

Wie setzt sich die Abendmahlsfeier heute fort? Werden wir Jesus mehr Zeit einräumen, mehr Entscheidungs- kompetenz zutrauen, indem wir vertrauen, dass er uns Wegzeichen setzt? Werden wir in unserer Gemeindegruppe anregen, unseren Glauben zu vertiefen, im Posaunenchor nicht nur Stücke zu üben, sondern mit ihnen bewusst Gottes Nähe zu suchen? Erst wenn wir das Segnen und Brechen des Brotes in unseren Alltag sprechen lassen, hat die Tischgemeinschaft mit Jesus gefruchtet.

Oder was nutzt es einer  Familie, um den Mittagstisch wunderbare Pläne zu schmieden, einander nahe zu sein und sich zu versprechen zu helfen, wenn sie gleich nach dem Essen herumstreitet, voller Wut Türen knallt und verschiedene Egotripps veranstaltet? Sie kann sich die gemeinsame Mahlzeit getrost sparen.

2 Gemeinschaft des Blutes Christi

Dass Jesus für mich gestorben ist, rührt mich zutiefst. In der Passionszeit hängt am Kreuz im Altarraum unserer Kirche eine Dornenkrone. Ich hätte vorher nicht geglaubt, welche Aussage diese Dornenkrone ohne Worte vermittelt. Sie berührt tiefer als manche Lesung und manches Nachdenken über Karfreitag. Sie lässt fast körperlich spüren, was Jesus für uns auf sich genommen hat. Wenn ich zum Abendmahl gehe, wird mir zugesprochen, dass Jesus für mich die Dornenkrone getragen hat. Er hat mir den Tisch gedeckt, um mir seine Vergebung zuzusprechen. Ich bin nicht überflüssig und werde nicht übersehen.

An meinem Platz erwartet mich ein Geschenk. Es ist kein Schmuck, mit dem ich mein Leben dekorieren und das weniger Ansehnliche kaschieren kann. Jesus schenkt mir einen Gutschein. Auf ihm steht: Gutschein für einmal gründlich Ausmisten, Aufräumen und Putzen in deinem Leben. Manchen ist das Geschenk peinlich. Sie wollen Jesus nicht an ihre dreckigen Ecken heranlassen. Manche nehmen den Gutschein mit und verwahren ihn. Sie heben ihn auf für schlechtere Zeiten wie beim Monopoly-Spiel die Ereigniskarte "Du kommst aus dem Gefängnis frei", die man aufhebt, bis man im Gefängnis landet, um gleich wieder freizukommen. Sie meinen, dass Jesu Angebot erst kurz vor dem Erstickungstod einzulösen ist. Aber Jesus will uns beim Abendmahl den Gutschein zur sofortigen Verwendung geben. Jetzt will er sich unserer dunklen Ecken annehmen, jetzt will er Schuld ans Licht bringen und entsorgen. Jetzt will er unser Leben auf die Reihe bringen, und es ist immer genug für ihn zu tun.

So möchte ich beim Abendmahl diesen Aspekt, dass er uns Vergebung schenken will, wieder neu lernen. Heute möchte ich mich in Frage stellen lassen: Was habe ich falsch gemacht? Wo bin ich aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus weggelaufen? Wo habe ich mich der von ihm gegründeten neuen Familie rund um den Tisch versagt? Und was möchte ich Jesus reinigen lassen?

Das Blut Jesu macht uns rein von aller Sünde, so lesen wir es anderer Stelle der Bibel (1. Johannes 1,7). Ich möchte dieses Blut in Anspruch nehmen und mir mein Versagen vergeben lassen. Jesus verändert durch diese Mahlzeit mein Leben.

Oder wozu brauchen wir eine gemeinsame Mahlzeit, nach der wir genauso hungrig vom Tisch gehen, wie wir gekommen sind? Bei der unsere Seelenlage kein bisschen gestärkter, fröhlicher, zufriedener geworden ist? Bei der wir nichts von den Familienmitgliedern ringsherum aufgenommen haben und nichts selbst abladen konnten?

3 Jesus führt die Tischgemeinschaft zusammen

Jesus lässt seinen Leib brechen, um Menschen mit seiner Liebe zu berühren. Diese Menschen werden Teil seines Auferstehungsleibes, er ruft sie zusammen als sein Leib, der hier in dieser Welt mit dem Einfluss seines Geistes lebt. Dieser Leib Christi, die Gemeinde, versammelt sich um den Tisch Jesu. Alle, die wir heute am Abendmahl teilnehmen, kennt er mit Namenm und er hat uns persönlich eingeladen. Alle bekommen das Geschenk zum Entrümpeln überreicht. Alle bekommen von seinem Brot und werden mit diesem Brot gestärkt für ihren Weg zur Ewigkeit. Und von diesem Brot bleibt viel übrig, so dass die Tischgäste mitnehmen in ihren Alltag und dort verteilen, um immer mehr Menschen für Jesus zu werben, die Familie um den Tisch zu vergrößern.

Vergegenwärtigen wir uns dieses Bild, so werden wir aufmerksam, dass nicht wir uns die Gemeindefamilie suchen, sondern Jesus uns zu Tisch ruft. Mit wem wir Seite an Seite nachher stehen, haben nicht wir zu bestimmen und nicht wir zu verantworten. Es ist Jesus, der die Tischkarten ausstellt und uns platziert. Natürlich kann jemand einwerfen, dass wir nicht unbeteiligt sind, uns eine Gemeinde zu suchen, in der wir leben können und wollen. Viele soziologische Faktoren spielen eine Rolle, unsere Herkunftsfamilie mit ihrer Tradition, geistliche Erfahrungen, die uns geprägt haben, der Arbeitsplatz und der Wohnort, die persönliche Situation und unsere ganz eigenen Vorlieben. Doch gibt es die viel größere und übergreifendere Choreographie Jesu, der Gemeinde nicht als ein Tortenstück neben vielen anderen in unserem Leben bewertet, sondern der Gemeinde als das Herz der Torte sieht, die zu allen Tortenstücken und Aktivitäten unseres Alltags gehört, wie die Kuchenmitte an jedem Tortenstück Anteil hat. Dass jemand hier Arbeit und Wohnung findet, in dieser Gemeinde sofort die Gegenwart Jesu spürt, ist die Tischkarte Jesu, mit der Jesus diese Person zu sich einlädt. 

Doch die Runde um den Tisch ist nicht Selbstzweck. Es geht nicht nur darum, dass alle satt und zufrieden werden und ihren Alltag besser meistern können. Die Leute bei Tisch erhalten wie im Familienleben konkrete Aufträge. Sie sind die Fortsetzung des Abendmahls und lassen die Gemeinde an die Arbeit gehen.

Dabei möchte ich vier Aufträge nennen: Das Entwickeln von Tiefe, Stärke, Weite und Größe.

  • Tiefe: Das Zusammensein mit Jesus, die Vergebung von Schuld und der neue Anfang mit der Stärkung des Brotes lässt die Sehnsucht nach tieferer Gemeinschaft mit Jesus wachsen. Heute werden wir nach dem Abendmahl einen Zettel mit nach Hause nehmen können, auf dem Gebetshilfen und jeweils ein Bibeltext für die nächsten Wochen der Passionszeit vermerkt sind. Dieser Zettel soll uns helfen, miteinander die Gemeinschaft mit Jesus zu vertiefen, das Erlebte nicht gleich wieder zu vergessen und über Jesus gemeinsam nachzudenken. Nächsten Sonntag ist vielleicht jemand bereit, über seine Erfahrungen mit dem Bibeltext während der Woche zu erzählen.
  • Stärke: Als ich vor ein paar Wochen die Gemeinde mit einem Ruderboot verglich, angerecht durch Paulus Formulierung, dass wir "Ruderknechte" Jesu sind, sagte jemand am Ausgang: "Ich habe entdeckt, dass die Musik und das Singen die besten Hilfsmittel sind, um als Gemeinde den Takt beim Rudern zu halten." Er hat einen entscheidenden Punkt angesprochen. Wir brauchen einen gemeinsamen Takt, Rhythmus, eine gemeinsame Melodie, um Gottes Stärke zu erfahren und sie einzusetzen. Unser Singen und Spielen geschieht zur Ehre Gottes, es hat Zeugnischarakter und Öffentlichkeitswirksamkeit, es berührt die Herzen und Sinne tiefer als Worte und reißt mit, lädt ein zum Mitmachen.
  • Weite: Eine Gemeinde, die stark ist im Lobpreis, kann kräftig Gottes Gegenwart bezeugen, aber sie teilt noch nicht von Jesu Brot aus. Das geschieht durch den Dienst, der in die Weite geht. Jede und jeder von uns ist an anderer Stelle mit seinem Dienst gefragt. Nehmen wir ernst, dass Jesus uns am Tisch nachher beauftragt, für ihn unseren Dienst zu tun, so wird es mir so klar, dass ich dabei nicht besser sein muss als andere, aber das Beste für Jesus geben will. So ist für mich aus diesen Gedanken die Erkenntnis gewachsen, dass ich mehr Posaune üben muss. Es reicht nicht, mal gerade eben so ein paar Stückchen zu spielen. Jesus erwartet von mir in meinem Dienst die Liebe, die in seinem Blut für mich steckt. Das ist schon ein paar Minuten Üben in der Woche wert.
  • Größe: Jesus sendet uns aus, um Frucht zu bringen. Frucht hat immer zu tun mit Vermehrung und neuen Früchten. Wir als Gemeinde bringen Frucht, indem wir andere zu diesem Tisch des Herrn einladen, Menschen, die Jesus brauchen, die von ihm Vergebung und Neuanfang erwarten, die sich von ihm in die Familie der Kinder Gottes rufen lassen. 
Was sagt es über eine Familie aus, die jahrelang niemand zu sich an den Tisch lädt? Ist es ein besonderes Zeichen von Qualität, wenn die Familie immer unter sich bleibt?

Wir feiern jetzt zusammen das Mahl des Herrn. Er ist unser Gastgeber. Er hat sein Blut für uns vergossen, um unsere Schuld aufzuheben, zu vergeben und mit uns neu anzufangen. Er beruft uns in die Gemeinschaft und gibt uns als Gemeinschaft Aufgaben: Wir müssen hinausgehen, um in die Tiefe zu wachsen, unsere Beziehung zu ihm zu stärken, mit unserem Dienst in die Weite zu wirken und dafür zu sorgen, dass die Tischrunde groß wird. 
Eine Tischgemeinschaft mit Folgen. Wir können uns darauf freuen.

Cornelia Trick


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