Gemeinsam sind wir stark (Markus 2,1-12)
Gottesdienst am 22.7.2018 in Brombach

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
schon in den ersten Sätzen der Bibel, die die Entstehung der Welt beschreiben, heißt es, dass Gott feststellte: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist.“ Die abendlichen Besuche Gottes im Garten Eden waren nicht genug Gesellschaft für den ersten Menschen. So schuf Gott ihm ein Gegenüber auf Augenhöhe, eine Frau, mit der er sein Leben teilen konnte.

Manchmal, wenn der Alltag über einem zusammenschlägt und man sich vor Terminen nicht mehr retten kann, wirkt die einsame Insel wie ein Zufluchtsort – eine Insel, auf der man ganz allein ist, niemand etwas von einem will und man sich nur um sich selbst kümmern muss. Aber in der Realität sind einsame Inseln eher schrecklich und kein Mensch wird sie in gesundem Zustand ernsthaft wollen.

Wir brauchen unsere Mitmenschen genauso wie Adam, der erste von der Bibel porträtierte Mensch. Wir brauchen Wärme, Berührung, Zuwendung, unsere Gedanken entwickeln sich mit der Sprache und dem Reden darüber, für unsere Projekte brauchen wir die Gaben der Anderen, sonst wird nichts Größeres entstehen können, Korrektur und Hilfe schenken uns die Weggefährten, und wir brauchen für unsere Seele ein Gegenüber, für das wir wichtig sind.

Im Idealzustand, der leider von der Menschheit seit Adam und Eva nie verwirklicht wurde, sind wir alle verbunden, helfen uns gegenseitig, stützen uns und fördern uns, dass alles, was in uns steckt, maximal zum Ausdruck kommt.

Doch spätestens seit dem Kindergarten wissen wir, dass das nicht so funktioniert. Je näher wir uns kommen, je eher kommen wir uns ins Gehege. Als hätten wir Stacheln, so tun wir uns bei engeren Beziehungen umso mehr weh.

Jesus hat uns in seinen Begegnungen mit zufälligen Menschen am Weg gezeigt, wie wir nicht in den Kindergartenmustern feststecken müssen, sondern er uns helfen kann, mit den eigenen und den Stacheln des Gegenübers umzugehen.

Markus 2,1-12
Ein paar Tage später kam Jesus nach Kafarnaum zurück. Es sprach sich herum, dass er wieder zu Hause war. Und es strömten so viele Menschen herbei, dass der Platz nicht ausreichte, nicht einmal draußen vor der Tür. Und Jesus erzählte ihnen von Gott. Da brachten Leute einen Gelähmten zu Jesus. Er wurde von vier Männern getragen. Aber wegen der Volksmenge konnten sie nicht bis zu ihm vordringen. Deshalb öffneten sie das Dach genau über der Stelle, wo Jesus war. Sie machten ein Loch hinein und ließen den Gelähmten auf seiner Matte herunter. Jesus sah, wie groß ihr Glaube war, und sagte zu dem Gelähmten: »Mein Kind, deine Schuld ist dir vergeben.« Es saßen aber auch einige Schriftgelehrte dabei. Die dachten: »Wie kann der so etwas sagen? Das ist Gotteslästerung. Nur Gott allein kann Schuld vergeben.« Doch Jesus wusste sofort, was sie dachten, und sagte zu ihnen: »Warum habt ihr solche Gedanken? Was ist einfacher? Dem Gelähmten zu sagen: ›Deine Schuld ist dir vergeben‹, oder zu sagen: ›Steh auf, nimm deine Matte und geh umher‹? Aber ihr sollt sehen, dass der Menschensohn von Gott die Vollmacht hat, hier auf der Erde den Menschen ihre Schuld zu vergeben.« Deshalb sagte er zu dem Gelähmten: »Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause.« Und er stand auf, nahm rasch seine Matte und ging weg. Alle sahen es. Sie gerieten außer sich, lobten Gott und sagten: »So etwas haben wir noch nie erlebt.«

Jesus war bei Simon und Andreas zuhause in Kapernaum. Es hatte sich schnell im Ort herumgesprochen, dass Jesus da war. Die Leute wussten, er würde von Gott erzählen, Kranke gesund machen, für jeden ein gutes Wort haben. Schnell war das Haus proppevoll, ja, es bildete sich sogar eine Menschentraube an der Eingangstür. 

Im gleichen Ort
Einige Meter weiter lebte ein Gelähmter, wir wissen nicht, seit wann er ans Bett gefesselt war. Seine Matte, die knappen zwei Quadratmeter waren nun sein Leben, ein Rollstuhl war wohl zu der Zeit noch nicht erfunden. Er konnte nicht aus eigener Entscheidung von A nach B kommen, war vom Dorfklatsch ausgeschlossen, wusste wahrscheinlich auch nicht, dass Jesus gerade bei Simon war.

Doch dieser Mann auf seinen zwei Quadratmetern hatte Freunde. Ob sie noch von früher aus seiner aktiven Zeit waren, ob sie ihn später kennengelernt hatten, ob sie vielleicht sogar seine Pfleger waren, die sich an seinem Bett abwechselten und seine Freunde wurden, wir wissen auch das nicht. Jedenfalls ist es etwas Besonderes. Von einem, der vom normalen Leben ausgeschlossen ist, würde man doch eher erwarten, dass er wie auf einer einsamen Insel lebt, nicht, dass er von einigen Freunden umgeben ist. Diese Freunde waren seine Antenne zur Außenwelt, sie brachten das Leben in sein Krankenzimmer.

Die Freunde beschlossen, ihren Freund zu Jesus zu bringen. Wir können uns das richtig vorstellen, wie jeder von ihnen einen Zipfel der Matte griff und sie hochhob. Sie hatten ganz schön zu schleppen, bis sie an Simons Haus angekommen waren. Wie enttäuscht waren sie, als sie merkten, sie waren zu spät gekommen, das Haus war schon voll. Für mich bemerkenswert, dass sie nicht aufgaben, dass sie sich nicht sagten: „Es soll wohl nicht sein!“ Im Gegenteil, sie wurden äußerst kreativ, sogar ein bisschen kriminell. Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, dafür konnten sie nach ihrer Dachaktion belangt werden. 
Warum waren sie so hartnäckig? Spürten sie, dass hier eine einmalige Chance wartete? Hatten sie Rückenwind vom Heiligen Geist, oder waren sie einfach mutig, weil sie miteinander dieses Projekt hatten und sich aufeinander verlassen konnten?

Jedenfalls muss das ein merkwürdiges Spektakel im Wohnzimmer von Simons Zuhause gewesen sein. Alle hingen gebannt an Jesu Lippen, da rieselte auf einmal von oben Staub auf seinen Kopf, Strohhalme flogen durch die Luft, immer mehr Himmel war zu sehen und eine Matte kam von oben herunter. Man drängte sich zurück, um der Matte Platz zu geben, fast brach eine Panik in dem kleinen Raum ein. Die Matte lag vor Jesu  Füßen, es war plötzlich mucksmäuschenstill, und Jesus schaute:

  • nach oben: Da sah er die vier Freunde durch das Loch im Dach schauen, auch sie staubig. Er sah ihren Blick, ihr Vertrauen zu Jesus, ihre Freude, es geschafft zu haben, den Freund vor ihm abzulegen. Er sah auch ihre Verbundenheit. Hier waren keine Einzelkämpfer unterwegs, sondern eine Mattengemeinschaft.
  • zum Mann: Da sah er offensichtlich nicht nur die Lähmung, sondern das ganze Elend seiner Seele. Vielleicht Schmerz, dass er allein auf seiner einsamen Zwei-Quadratmeter-Insel leben musste. Vielleicht Wut, dass ihm dieses Schicksal widerfahren ist. Vielleicht Ärger über die Anderen, die gesund durch die Gegend laufen konnten. Vielleicht Bitterkeit, weil seine Lage aussichtslos war. Vielleicht Gottverlassenheit, der hat ihm ja auch nicht geholfen. Jesus sah all das und sagte zu ihm: „Alles ist vergeben, du kannst wieder neu beginnen, Wut, Ärger, Ohnmacht, Verlassenheit werden dich nicht mehr bestimmen, du darfst dich geborgen wissen in Gottes Händen, er meint es gut mit dir.“
  • zu den religiösen Fachleuten: Auch denen schaute Jesus ins Herz und sah, wie sie nichts verstanden. So ließ Jesus für sie auf die seelische Heilung die körperliche folgen. „Nimm deine Matte, steh auf und geh!“, so wies er den Mann an, der wohl sehr beschwingt davongestürmt sein wird durch die Gasse, die die Leute im engen Haus für ihn bildeten. 
„Alle sahen es“, so ist die Reaktion der Menge. „Es“, das ist wohl die Erkenntnis, dass bei Gott Leib und Seele zusammengehören. Dass bei Gott nichts unmöglich ist. Dass die eigentliche Heilung nicht war, dass der Mann nun wieder laufen konnte, sondern dass er mit Gott im Reinen war, sich als sein geliebtes Kind wusste – trotz allem.

Die Helden der Geschichte aber sind die Freunde. Ihr Vertrauen zu Jesus, ihre kreative Überwindung der Hindernisse und ihr Blick für den bedürftigen Freund ließen Jesus handeln. Wegen ihnen ist diese Jesusbegegnung wohl überliefert und in der Bibel festgehalten worden.

Was wir lernen können
Der Gelähmte auf seiner Matte könnten wir sein. Körperliche Defizite, seelische Probleme, schwere Lebensführungen, Schuld und Verletzungen können uns buchstäblich schachmatt setzen. Wir liegen am Boden, hören viele Appelle, doch Hilfe zu holen, aber können uns nicht regen. Auch unser Weg zu Jesus scheint versperrt. Manchmal ist uns, als ob unsere Gebete an der Decke hängenbleiben, manchmal können wir gar keine formulieren, manchmal haben wir den Eindruck, dass Gott sich scheinbar nur um andere kümmert. Wir brauchen Ehrlichkeit. Wie können Freunde merken, dass sie uns zu Jesus tragen sollten, wenn wir uns nicht auf der Matte zeigen? Gemeinde ist ein Ort, den Jesus uns genau dafür schenkt, wir dürfen die Matten auspacken, uns drauflegen und zugeben, dass wir aus eigener Kraft nicht weiterkommen. Diese Erfahrung verbindet Jesus-Nachfolgerinnen und -Nachfolger.

Auch wir könnten zu den vier Freunden gehören. Die Geschichte ist ja eigentlich eine Anleitung zum Freund-Sein. Die Freunde bewiesen Empathie, sie konnten die Bedürfnisse ihres Freundes erkennen, sie brachten ihn zu Jesus. Das zeichnet Freunde aus, sie lesen im Anderen, was er braucht, sie leiden nicht nur mit, sondern werden kreativ. Sie bringen – und hier wird es eine geistliche Geschichte – ihren Freund zu Jesus und lassen Jesus sich um ihn kümmern. Die Freunde bilden eine Mattengemeinschaft. Freunde sollten Netzwerke knüpfen, so können sie viel besser einander beistehen, als einer allein. Der hätte den Freund nicht zu Jesus schleppen können.

Die Mattengemeinschaft lässt sich von Widerständen nicht aufhalten. Selten müssen wir Dächer abdecken, meistens sehen die Hindernisse anders aus, die der Gemeinschaft im Weg stehen. Da ist die Geschäftigkeit, dass wir keine Zeit füreinander haben, so auch gar nicht richtig mitbekommen, was dem Anderen fehlt. Da ist die Angst voreinander. Zum Einen, dass man die Schwäche voreinander verbergen will, zum Anderen, dass man gefordert sein könnte, etwas gegen die Schwäche des Anderen zu unternehmen. Da sind Konflikte, die wie Dächer im Weg sind, andere Prioritäten, Verletzungen, Vertrauenskrisen, der ganze bunte Strauß, der Gemeinschaft und Freundschaft zerstört. Sind wir mutig, diese „Dächer“ abzudecken, dann werden wir merken, wie befreiend es sein kann, mit unverhüllten Gesichtern einander anzuvertrauen und zu Jesus getragen zu werden, in der Fürbitte, mit Handauflegung, unterstützt durch ein gutes Wort.

Ziel der Geschichte ist, dass wir Teil einer Mattengemeinschaft werden, als die, die auf der Matte liegen, aber dann auch als die, die Matten tragen können, weil sie selbst erlebt haben, wie Jesus anschaut und heilt. Auch wenn das Ideal immer unerreichbar vor uns steht und wohl erst im Himmel vollendet sein wird, so dürfen wir es in der Gemeinde und in unseren Freundschaften hoffentlich schon ansatzweise erleben, dass wir

  • von Jesus zusammengeführt werden
  • von Jesus zusammengehalten werden
  • von Jesus gesehen und angesehen werden
  • von Jesus gesegnet, geheilt werden mit Leib und Seele.
Jede und jeder ist mal auf der Matte und am Seil der Matte, um jemand anderes durchs Dach zu lassen. Jede und jeder ist damit ein Hinweiszeichen auf Jesus, der uns mit Gott in Beziehung bringen will.

Alle sahen es. Sie gerieten außer sich, lobten Gott und sagten: »So etwas haben wir noch nie erlebt

Cornelia Trick


Home


Verantwortlich Dr. Ulrich Trick, Email: ulrich@trick-online.de
Internet-Adresse: http://www.predigt-online.de/prewo/prewo_gemeinsam_sind_wir_stark.htm