Jahresschluss-Gottesdienst
am 31.12.2005
Liebe Gemeinde, liebe Freunde,
in diesen Tagen sehen
wir viele Bilder vom vergehenden Jahr, hören von Ereignissen, die
uns berührten und lesen noch einmal die Schlagzeilen, die uns aufwühlten.
Sinn der Rückblicke ist, die zurückliegenden Ereignisse zu würdigen
und wertzuschätzen. Ich schaue mir die Rückblicke gerne an und
staune oft, wie schnell die Zeit vergangen ist und manche Ereignisse doch
schon wie aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Dabei komme ich mir
ein bisschen vor wie im Kino. Ich bin Zuschauer, lasse mich berieseln,
für mich persönlich entstehen keine Folgen. Ich kann aus Kanzlerwahlen,
Umweltkatastrophen oder Sport-Triumphen nichts lernen.
Der persönliche Rückblick
sieht ganz anders aus. Ich höre zum letzten Mal die Worte, die am
1. Januar über das neue Jahr gestellt wurden: "Ich habe für
dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre." (Lukas 22,35) Und
ich stelle fest, dass dieses Motto sich vielfältig bewahrheitet hat.
Mein Glaube hat nicht aufgehört. Ich komme heute Abend in die Kirche
mit einem Herzen voller Lob und Dank. Jesus hat für mich gebetet und
ich kann die Erfahrungen des Jahres 2005 im Zusammenhang mit ihm begreifen.
Ich erkenne Gottes Handschrift, Jesu Fußspuren und seine hilfreichen
Hände. Ich sehe, was gut gewesen ist.
Eine Anleitung zum Loben
und Danken an einem Abend wie diesem findet sich in Psalm 103:
Von David. Lobe den HERRN,
meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den HERRN,
meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir
alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein
Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,
der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie
ein Adler. Der HERR schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht
leiden. Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun.
Barmherzig und gnädig ist der HERR, geduldig und von großer
Güte. (Psalm 103,1-8)
Um die Erinnerungen an
das Jahr 2005 nicht zu vergessen, nehme ich eine Schnur und
knüpfe Knoten hinein für jeden Punkt, auf den mich der Psalm
aufmerksam macht.
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Das Loben ist offensichtlich
nicht selbstverständlich. Die Seele des Beters muss sich selbst dazu
ermahnen. Nur allzu leicht gerät das Lob in Vergessenheit über
dem Alltäglichen. Ich erinnere mich an eine Schulung, bei der der
Referent vorgetragen hatte. Ich hörte zu, war aber mit den Gedanken
bei anderen Themen. Auf einmal deutete er auf mich und fragte, was ich
zu diesem Punkt spontan sagen würde. Ich wachte buchstäblich
auf. So geht es mir mit dem Lob. Der Psalm deutet auf mich und fordert
mich heraus zum Loben. Vielleicht liegen Sorgen, Schmerzen, Trauer und
Not viel näher, aber ich werde nicht aufgefordert, mir das Beklagenswerte
von der Leber zu reden, sondern einen völlig anderen Blickwinkel zu
wählen. Ich soll meinen Blick nach oben richten und nicht auf das,
was mich in die Tiefe zieht. Loben kann ich das Gute, das der Herr mir
getan hat. Erfolgserlebnisse des vergangenen Jahres haben ein eindeutiges
Vorzeichen, Gott hat Gutes getan. Er hat Stunden des Friedens geschenkt,
geholfen, eine schwierige Situation zu meistern, eine gute Note ermöglicht,
einen beruflichen Erfolg in die Wege geleitet. Weil ich Gott für das
Gute im letzten Jahr lobe, werde ich vor Hochmut bewahrt. Ich habe meinem
Leben keine Spanne hinzugesetzt. Ich konnte für das Gelingen nicht
garantieren, es war Gott, der über allem seine Segenshand hielt. Ich
werde auch bewahrt vor Verzweiflung, denn Gott kennt auch meine Misserfolge
und mein Scheitern. Er trägt es mit mir durch. Die Verantwortung für
mein Jahr liegt nicht auf meinen Schultern allein. Gott trägt mich
und damit auch das letzte Jahr.
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Doch der Psalmbeter führt
das Lob über das Allgemeine hinaus. Das eigentlich Gute ist für
ihn, dass Gott Sünden vergibt. Wir sehen hinter dem Psalmbeter Davids
Leben und seine Verfehlungen, besonders auch den Ehebruch
mit Batseba. David gibt uns mit seinen Worten Anteil an seiner Erfahrung.
Worauf es wirklich ankommt, ist die Vergebung. Schuld hält fest und
klebt. Mit Schuld belastet lässt es sich nicht gut in ein neues Jahr
gehen. Wir würden die Schuld mitnehmen und nichts könnte neu
werden. Weil Jesus am Kreuz unsere Schuld getragen hat und vergab, können
wir ihm getrost auch die Schuld des Jahres 2005 anbefehlen. Er befreit
uns von ihr, lässt uns im neuen Jahr wirklich neu beginnen und hilft
uns, auch die von der Schuld verursachten Scherben aufzulesen und neu zusammen
zu fügen. Jesu Vergebung anzunehmen beginnt im Kopf mit dem festen
Willen und Gebet, ihn vergeben zu lassen. Vom Kopf wandert die Freude über
Jesu Befreiung ins Herz und lässt uns froh und zuversichtlich in die
Zukunft gehen.
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Jesus nimmt sich nicht nur
unserer Schuld an, die unsere Beziehungen betrifft, sondern auch unserer
körperlichen Gebrechen. Der Psalmbeter lobt Gott, dass er ihn geheilt
hat, ihn vom Verderben erlöste und verjüngte. Wie die Schuld
das Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen stört und letztlich
uns selbst lahm legt, so bedeuten unsere körperlichen Gebrechen Begrenzung
und Schmerz. Einzelne von uns haben es im vergangenen Jahr erlebt, wie
sie geheilt wurden und Gott ihnen eine neue Lebensspanne hinzugesetzt hat.
Nicht alle sind gesund geworden, nicht alle unsere Gebrechen sind verschwunden.
Und immer nur anbruchsweise wird sichtbar, was erst für Gottes Reich
verheißen ist, dass wir jung werden, wie Adler und keine Schmerzen
uns mehr knechten können. Der Lobpreis nimmt vorweg, was erst hier
und da sichtbar wird: Gott will uns heilen, erlösen und mit seinem
Geist neues Leben schenken.
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Gott ist barmherzig, gnädig,
geduldig und von großer Güte. Wir können es, jede und jeder
persönlich, am vergangenen Jahr ablesen. Vielleicht gab es da Situationen
der Vergebung, der Heilung, der Erlösung und der neuen Wege, die eröffnet
wurden. Deshalb: Lobe den Herrn, meine Seele!
Lobet den HERRN, ihr seine Engel,
ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre
auf die Stimme seines Wortes! Lobet den HERRN, alle seine Heerscharen,
seine Diener, die ihr seinen Willen tut! Lobet den HERRN, alle seine Werke,
an allen Orten seiner Herrschaft! Lobe den HERRN, meine Seele! (Psalm 103,20-22)
Am Ende des Psalmgebets
wird das Gotteslob auf andere ausgeweitet. Lob hat Folgen. Aus Dankbarkeit
wird das Leben anders weitergehen. Die geknüpften Knoten werden Spuren
hinterlassen. Jedenfalls soll es Gott doch nicht so gehen wie der Krankengymnastin,
die nach erfolgreicher Therapie von ihrer Patientin einen wunderschönen
Blumenstrauß als Dankeschön bekam. Sie war sich sicher, dass
diese Patientin nun nach 10 Therapien wusste, wie sie ihren Rücken
trainieren musste, um schmerzfrei zu bleiben. Doch ein paar Monate später
war die Frau mit den gleichen Symptomen und einem inzwischen untrainierten
Rücken wieder da. Die Dankbarkeit hatte nicht weit getragen.
Wir sollten die Schnur
mit den Knoten des letzten Jahres gut aufheben und nicht aus den Augen
verlieren. Nur so wird unsere Beziehung zu Jesus Christus fest bleiben,
denn er hält das Schnurende fest in seiner Hand. Durch den Dank sind
wir immer mit ihm verbunden. Ein Gebet, das unser Kirchenvater John Wesley
im 18. Jahrhundert für die ersten methodistischen Gemeinden verfasste,
ist auch heute noch eine Möglichkeit, uns neu zu einem Leben mit Gott
zu verpflichten, das aus der Erfahrung seiner Treue im letzten Jahr wächst.
"Ich gehöre nicht
mehr mir, sondern dir. Stelle mich, wohin du willst. Geselle mich, zu wem
du willst. Lass mich wirken, lass mich dulden. Brauche mich für dich
oder stelle mich für dich beiseite. Erhöhe mich für dich,
erniedrige mich für dich. Lass mich erfüllt sein, lass mich leer
sein. Lass mich alles haben, lass mich nichts haben. In freier Entscheidung
und von ganzem Herzen überlasse ich alles deinem Willen und Wohlgefallen.
Herrlicher und erhabener
Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist: Du bist mein und ich bin dein. So
soll es sein. Bestätige im Himmel den Bund, den ich jetzt auf Erden
erneuert habe. Amen."
Dankbarkeit hat Folgen:
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Ich gehöre Gott, das
bedeutet: Wo ich lebe, gibt Gott mir einen Auftrag, ich bin nicht die Kuh,
die sehnsüchtig auf das Gras der Nachbarweide schielt.
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Ich nehme die Menschen an,
die mir zur Seite gestellt sind, meine Nachbarn, meine Familienangehörigen,
meine Kollegen, auch die Leute, die mir Schwierigkeiten machen und schlaflose
Nächte bereiten. Ich nehme sie an, wie Christus mich angenommen hat,
zu Gottes Lob.
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Ich arbeite, wenn es dran
ist, und ich lerne zu ertragen, wenn Menschen etwas tun, das meiner Vorstellung
nicht entspricht.
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Ich bin aktiv für Jesus,
aber ich trete auch ins zweite Glied, um anderen Raum zu geben. Ich setzte
mich ein, Nachwuchs zu fördern, auch wenn ich damit an Einfluss verliere.
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Ich lerne, mit Wohlstand nach
Gottes Willen umzugehen, aber auch in harten Zeiten nicht irre zu werden.
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Ich will Gottes Willen trauen
und mutig seinen Weg gehen.
Diese Hingabe ist nur möglich,
weil Jesus Christus uns dazu befähigt und uns Sicherheit gibt. Aus
einer Lebenshaltung der Hingabe wachsen neue Gelegenheiten zum Knoten-Machen
2006. Nicht zuletzt spricht Gott uns mit der Jahreslosung 2006 zu: "Ich
lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht."
(Josua 1,5)
Cornelia
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